Tag 20: Die Sache mit der Angst

Angst ist ein ziemlich großes Wort. So ähnlich wie Hass.
Vielleicht ist es deswegen gar nicht verwunderlich, dass beides zurzeit häufig so nah beieinander zu liegen scheint.

Als ich in den letzten Wochen und Monaten ferngesehen, Zeitung gelesen und Gespräche mit anderen Menschen geführt habe, bekam ich das Gefühl, dass eine diffuse Angst die öffentliche Stimmung in unserem Land beherrscht.
Die Angst vor Fremdem, die Angst vor Unbekanntem, die Angst davor, dass uns etwas weggenommen werden könnte – genauer gesagt: die Angst vor Flüchtlingen, vor dem Islam und davor, dass eine „fremde“ Kultur unsere deutsche Kultur vertreiben könnte. Und da es nun offenbar so viele Menschen hier gibt, die sich davor fürchten, dass das Abendland bald untergehen könnte, haben sich Politiker und Teile der Medien offenbar dazu entschlossen, so gut es geht deutlich zu machen, dass man die Ängste dieser Menschen ernst nimmt.

Klar, denn das Ergebnis der letzten Bundestagswahl spricht für sich. 12,5 Prozent der deutschen Bevölkerung haben eine rechtsextreme, rassistische, homophobe, frauenfeindliche und reaktionäre Partei gewählt, die es geschafft hat, ausgelöst durch diese diffuse Angst, nun tatsächlich die Opposition im Bundestag anzuführen.
Beinahe alle VertreterInnen jeder Partei predigen seitdem, dass es nun sehr wichtig sei, die Wählerinnen und Wähler zurückzuholen und ihnen ihre Ängste zu nehmen.
Gleichzeitig wird seit Monaten in gefühlt jeder Polit-Talkshow darüber diskutiert.
Über Flüchtlinge. Über den Islam. Über Angst.

Ich möchte nicht falsch verstanden werden, natürlich finde auch ich es unfassbar wichtig, Ängste vor Fremdem abzubauen, Menschen zu zeigen, dass diese Ängste unbegründet sind. Aber es gibt hier eine Sache, die ich einfach nicht verstehen kann.
Und zwar, dass die öffentliche Diskussion über Flüchtlinge und „fremde“ Kulturen und nicht zu knapp über den Islam – als die große, böse, feindliche Religion – meiner Meinung nach bloß eine riesengroße Stellvertreter- und Scheindebatte ist, die es irgendwie schafft, zu verdrängen, über was wir in unserem Land wirklich mal richtig laut und leidenschaftlich diskutieren sollten.
Egal worum es geht; den Diesel-Skandal, Sexismus, soziale Gerechtigkeit, Hartz IV, Armut… ich habe das Gefühl, am Ende jeder vielleicht sinnvollen Auseinandersetzung mit einem wichtigen Thema, landen wir zum Schluss doch wieder bei der Frage, ob die deutsche Flüchtlingspolitik verschärft werden sollte und ob das mit der sogenannten „Willkommenskultur“ nicht ein riesengroßer Fehler gewesen sei. Das beweist ja auch unser neuer Gesundheitsminister Jens Spahn, der es in seiner bisherigen Amtszeit ziemlich erfolgreich geschafft hat, den öffentlichen Diskurs bewusst in Richtung Ausländer und Recht und Ordnung in Deutschland zu lenken, statt sich mit dem zu beschäftigen, was sein neuer Job ja eigentlich beinhalten sollte: dem Gesundheitswesen.

In unserem Land werden also offensichtlich nur noch die Ängste der AfD- (und CSU-) Wähler ernst und wahr genommen. Und das finde ich gefährlich und ungerecht.
Denn was ist denn mit meinen Ängsten? Mit den Ängsten meiner Generation, meiner Freundinnen und Freunde?
Von uns hat doch kaum einer hier Angst davor, dass der böse Flüchtling uns unseren Job, den Studienplatz oder die Freundin wegschnappen könnte.
Ich fühle mich viel weniger bedroht von einer Frau mit Kopftuch oder einem Syrer, der mir auf der Straße begegnet, als von Jens Spahn.

In der Realität, in meiner Realität, habe ich dagegen andere, ernstzunehmende Ängste.
Zum Beispiel davor, irgendwann ohne Job dazustehen, weil trotz meiner vielleicht sogar besseren Qualifikation dann doch wieder ein Mann die Stelle bekommen hat.
Ich habe Angst vor Nazis, und vor allem davor, dass sie es immer häufiger schaffen, nach außen hin seriös und „normal“ zu wirken. Ich habe Angst vor Diskriminierung. Ich habe Angst davor, mir meine Miete eines Tages nicht mehr leisten zu können. Ich habe Angst, dass wir unseren Planeten und die Umwelt kaputt machen und dass das eines Tages meine Nachfahren ausbaden müssen. Ich habe Angst, später nicht genug Rente zu bekommen, Angst vor Altersarmut. Ich habe Angst, dass Rassismus die Stimmung in unserem Land und in unserer Gesellschaft immer stärker kippt. Ich habe Angst, dass der Paragraph 219a nicht abgeschafft wird. Ich habe Angst, dass wir jetzt für immer einen Heimatminister haben und darüber vergessen, dass Heimat so viel mehr ist als Bayern, Weißwurst, das Christentum und unsere Grenzen zu verteidigen.

Aus diesem diffusen Gefühl, das viele Leute scheinbar als Angst wahrnehmen – Angst vor etwas Unbekanntem, entsteht schnell ein ebenso diffuser Hass. Das merkt man mehr als deutlich, wenn man beobachtet, dass es zu Anschlägen auf Flüchtlingsheime kommt, Menschen, die nicht „typisch deutsch“ aussehen auf der Straße angepöbelt werden, daran, dass antisemitische und rassistische Sprüche tatsächlich (wieder) Alltag geworden sind.
Natürlich ist es, wenn man etwas nicht kennt und sich darum sorgt, wie es weiter geht, leichter, die Angst in Hass zu verwandeln. Viele versuchen dann, das zu vernichten, was sie  da scheinbar ängstigt, anstatt sich ihren Ängsten zu stellen und vielleicht zu versuchen, mal kennenzulernen, was fremd erscheint.

Es wäre schön, wenn wir öffentlich mehr darüber sprechen könnten, was sich in unserem Land ändern muss, dass Menschen diese Ängste gar nicht erst entwickeln. Es wäre schön, wenn die Angst vor der AfD in der Politik nicht so groß wäre, dass alle anderen Parteien in dem Prozess, die Wählerinnen und Wähler zurückzuholen, selber zu einer AfD 2.0 werden.
Damit wir vielleicht irgendwann nicht mehr so viel über Angst sprechen und über Hass, sondern über das, was uns zusammenbringt und darüber, dass „Heimat“ doch vor allem ein Ort sein sollte, der alle miteinander vereint und Angst und Hass verblassen lässt.

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