Tag 8: Generation „Scheidungskind“

Familie ist Liebe, Geborgenheit, ein Zugehörigkeitsgefühl und Identität.
Wenn Eltern sich trennen, ist es für ein Kind oft ganz plötzlich so, als würde all’ das über ihr oder ihm zusammenbrechen und diese Art des Familiengefühls nicht mehr existieren. Nicht nur die Erwachsenen müssen sich neu sortieren, sondern gerade die Kinder, die sich in einer für sie komplett neuen und vorher meist ungeahnten Situation wiederfinden. Das ist häufig schmerzhaft und traumatisch, egal in welchem Alter die Kinder sind.

Ich spreche hier aus eigener Erfahrung. Als meine Eltern sich dazu entschieden haben, getrennte Wege zu gehen, war ich dreizehn Jahre alt und in einer sowieso schon turbulenten Lebensphase, in der man alles überdenkt und sich von einer anderen Seite kennenlernt: der beginnenden Pubertät. Das ist jetzt zehn Jahre her.
Und noch immer fällt es mir manchmal schwer, über die Trennung meiner Eltern zu sprechen, es wirklich zu realisieren. Und das, obwohl zehn Jahre wirklich eine verdammt lange Zeit sind und seitdem so viel passiert ist. Obwohl ich mir heute gar nicht mehr vorstellen könnte, dass meine Eltern wieder zusammen wären.
Nachdem sie mir gesagt haben, dass sie sich dazu entschieden haben, nicht mehr als Paar zusammenleben zu wollen, löste das bei mir, so glaube ich heute, eine Schockstarre aus, in der ich versucht habe, ganz normal weiterzumachen und so zu tun, als wäre nichts passiert. Dabei – machen wir uns nichts vor – ist nach der Trennung der Eltern erstmal nichts mehr, wie es mal war, das Leben steht Kopf. Ich habe mit kaum jemandem darüber gesprochen, mich auch in der Schule niemandem anvertraut. Ehrlich gesagt war es mir peinlich, dass meine Eltern sich scheiden ließen. Vorher hatte ich mit einem klitzekleinen Gefühl der Verachtung und mit Mitleid auf Familien geschaut, in denen die Eltern getrennt lebten. Ich hätte nie gedacht, dass wir da selber mal zugehören würden. Aber das taten wir jetzt. Und ich musste mich irgendwie damit arrangieren.

Es gibt viele verschiedene Situationen, die dazu führen, dass zwei erwachsene Menschen, die gemeinsam ein Kind oder mehrere haben, sich trennen. Es gibt noch viel mehr Ansätze, wie innerhalb der Familie damit umgegangen wird. Rosenkrieg, alleiniges Sorgerecht, geteiltes Sorgerecht, Kinder, die das Gefühl haben, sich für ein Elternteil entscheiden zu müssen, Paare, die ihrer Kinder zuliebe nach der Trennung Freunde werden. Gerade weil die Trennung in keiner Familie gleich abläuft, gibt es eigentlich kaum sinnvolle Ratschläge, weder für die Eltern, noch für die Kinder. Man kann nie darauf gefasst sein, wie es wirklich wird und was man wirklich fühlt, wenn es soweit ist. Weder als Elternteil, noch als betroffenes Kind. Häufig hören die Erwachsenen den gut gemeinten Rat, das Wichtigste wäre, dass man den Kindern das Gefühl vermittelt, dass sie keinerlei Schuld an der Trennung tragen würden. So wirklich habe ich das nie verstanden. Zu keinem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, mich träfe irgendeine Schuld daran, dass meine Eltern nicht mehr zusammen sein wollen. Warum auch?!
Das Wort „Scheidungskind“ finde ich total bescheuert. Es impliziert, dass das Kind irgendeinen Einfluss auf die Scheidung seiner Eltern hatte, dass es daran beteiligt sein würde. Es ist tatsächlich so verrückt, dass diese Trennung eines einstigen Liebespaares mit den Kindern überhaupt nichts zu tun, auf ihr Leben aber so eine große Wirkung hat.

Wir sind eine Generation vieler Scheidungskinder, anders als unsere Eltern, die doch meist in Familien großwurden, in denen die Eltern bis an ihr Lebensende zusammenblieben. Das macht uns gleichzeitig zu der Generation Patchwork. Spätestens wenn man Mama oder Papa mit einem neuen Partner oder einer neuen Partnerin sieht, holt einen die Realität ein.

Eine Realität, die auch für mich nicht so leicht war. Ich habe mich meinen Eltern und auch ihrer Beziehung untereinander immer zugehörig gefühlt, uns als eine Art Einheit begriffen. Ich konnte mit dreizehn Jahren nicht verstehen, warum sie unsere Familie freiwillig aufgeben wollten. Ich konnte nicht nachvollziehen, warum man lieber eine Scheidung einreichte, als es wieder und wieder und wieder zu probieren. Und auch wenn mich dieses Thema bis heute emotional sehr berührt, verstehe ich jetzt doch, dass es manchmal im Leben eben einfach nicht mehr so weitergeht, wie es war und auch nicht immer so kommt, wie man es ursprünglich mal geplant hatte.

Und wie so oft im Leben, bringen alle blöden Erlebnisse ja auch häufig Gutes mit sich: durch die Trennung meiner Eltern bin ich mit meiner Schwester auf einer ganz neuen Ebene so eng zusammengewachsen, wie es sich Menschen, deren Eltern nicht getrennt sind, vielleicht gar nicht vorstellen können. Nur meine Schwester versteht genau, wie ich mich in vielen Situationen gefühlt habe und heute noch fühle. Sie ist deutlich jünger als ich und hat mir damals dennoch mehr Halt gegeben, als alle Erwachsenen es zusammen je gekonnt hätten.
Man wird schneller erwachsen, wenn die Eltern sich trennen, und auch wenn das vielleicht erstmal gar nicht so positiv klingt, entwickelt man dennoch eine emotionale Selbstständigkeit, die ich heute nicht mehr missen möchte. Ich wurde weniger naiv und unabhängiger und weiß ganz genau, was ich von meiner eigenen Beziehung will und was nicht. Vielleicht erlangt man dadurch ja auch die Erkenntnis, dass man es später anders machen will, als die eigenen Eltern. Es länger probieren möchte, mehr für eine Beziehung kämpfen will. Ich glaube, dass die Trennung meiner Eltern keinen unwesentlichen Teil dazu beigetragen hat, dass ich heute so sehr an die Liebe glaube und ein Beziehungsmensch geworden bin. Das Vorurteil, dass Scheidungskinder später eher gefährdet wären, ebenfalls in Scheidung zu leben, halte ich für beinahe absurd. Denn gerade wir wissen doch, wie schlimm es sein kann, wenn Eltern sich trennen und nehmen gerade deswegen die Liebe und Beziehungen nicht als selbstverständlich hin und kämpfen daher vielleicht auch mehr für unsere Partnerschaft.

Ich weiß heute, zehn Jahre später, dass das Gefühl von Liebe und Geborgenheit sich nicht ändert, bloß weil man ein Scheidungskind ist. Ich fühle mich Menschen zugehörig, aber das muss nicht zwangsläufig in dem klassischen Familienkonstrukt stattfinden, in dem ich mal gelebt habe. Unsere Identität wird durch so viele Faktoren bestimmt; Freunde, Verwandte, das Leben und die Erfahrungen, die wir darin machen. Zu diesen Erfahrungen gehört bei mir vielleicht auch die Trennung meiner Eltern, aber sie hat mich sicherlich nicht zu einem unglücklicheren Menschen gemacht, vielleicht sogar zu einem stärkeren.

Meine großen Vorbilder, meine besten Freunde und meine Familie – das alles sind für mich heute immer noch meine Eltern, auch wenn sie kein Paar mehr sind.
Achja, und dieses eine Klischee, dass wir Scheidungskinder an Weihnachten und zum Geburtstag mehr Geschenke bekommen und häufiger in den Urlaub fahren – das stimmt wirklich!

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